Mittwoch, 20. März 2013

Persönliche Nachlese zu einem Neos-Informationsabend

Die NEOS luden zu einem Informationsabend ins Café Preinsack nach Deutschlandsberg. Das führte nicht nur zu einer für mich sehr interessanten zweistündigen Diskussion, sondern ob des einzugestehenden Fehlversuchs meinerseits, mein Resümee in 140-Twitter-Zeichen zu packen, auch zum ersten Blog in meiner Biographie.

Obgleich immer sehr diskussionsfreudig, war das für mich erst die zweite Teilnahme an einer Parteiveranstaltung. Die erste liegt viele Jahre zurück in meiner Studentenzeit. Damals hat eine gewisse Heide Schmidt, FPÖ,  in einem Gasthof meiner Heimatgemeinde verhindert, dass zwei rotzfreche mit bösen Fragen das Idyll störende Studenten von den (n-2) anwesenden Parteigängern zu sehr verbal geohrfeigt wurden.

Das bedeutet insoferne einen roten Faden, als neben der Hauptgastgeberin und Referentin Daniela Schwarz auch der regionale Vertreter der JuLis, Herr Jöbstl, als Mit-Gastgeber und zwei weitere bei den Jungen Liberalen tätige Studenten anwesend waren und in weiterer Folge auch intensiv mitdiskutierten.

Leider war der Besucher- und Besucherinnenstrom enden wollend. Neben mir waren noch ein Lehrer, zwei Frauen, die ich ebenfalls dem Bildungsbereich zuordnen würde, zwei Schüler/Studenten und ein Gemeinderat einer anderen politischen Partei, dem ich hier durch Namensnennung nicht schaden möchte und der offen seine Funktion und Partei "geoutet" hat, anwesend.

Das verliebte junge Pärchen vom Nebentisch, das von der Politisiererei zwangsbeschallt wurde, zähle ich wegen vermuteter anders gerichteter Aufmerksamkeit nicht zu den Diskutanten.

Mir ist klar, dass eine Partei wie die NEOS solche Veranstaltungen nicht kostenintensiv mit Plakaten usw. ankündigen und bewerben kann (ich selbst habe durch Zufall durch das Browsen auf der NEOS-Homepage davon erfahren), allerdings gibt es gerade für die Weststeiermark eine seit Jahrzehnten stark verankerte und quer durch die Bevölkerungsschichten und Altersgruppen gelesene Regionalzeitung: Die Weststeirische Rundschau berichtet meines Wissens gratis in der Rubrik "Hier sprechen die Parteien" über politische Themen.

Wenigstens konnten die Anwesenden Frau Schwarz insoferne verblüffen, als die Einstiegsfrage, wer schon etwas von NEOS gehört habe, zu 100% bejaht wurde.

Frau Schwarz, einer dynamischen und ganz sicher nicht introvertierten Einzelunternehmerin, die laut Eigendefinition ob der Größe ihres Unternehmens wichtige Fragen "mit mir selbst am Küchentisch" bespricht, ist unüberseh- und unüberhörbar von dem Projekt NEOS, für das sie sich engagiert, zutiefst überzeugt und bringt diese Begeisterung überzeugend rüber, ohne dabei in missionarische oder zwangsbekehrende Attitüden zu verfallen.

Politisch sozialisiert wurde Frau Schwarz in der ÖVP als hohe Mitarbeiterin im Büro des ehemaligen Wiener Vizebürgermeisters, Vizekanzlers, ÖVP-Obmanns und Wissenschaftsministers Erhard Busek. Aus ihrer Entfremdung von der ÖVP und teilweise offenbar auch Resignation von Busek mit seiner Partei machte sie in weiterer Folge kein Hehl.

Nach einer kurzen Vorstellung des rund ein Jahr dauernden status nascendi der NEOS gab es ein paar Sätze zu den Gründern Strolz und Dengler. Da die Details auf der Homepage nachgelesen werden können, möchte ich sie hier nicht wiederholen. Interessant ist, dass dieses "politische Startup" offenbar sozusagen eine Garagengründung ist, die primär auf der intensiven Arbeit von zwei alten Studienfreunden fußt, die irgendwann von Wutbürgern zu Tun-Bürgern wurden.

Gleich anschließend wurde von Frau Schwarz das Wahlbündnis NEOS - LIF angesprochen. Aus den Aussagen würde ich das als Vernunftehe mit hoher gegenseitiger Hochachtung und genug gegenseitiger Sympathie bezeichnen.

Frau Schwarz sah hier die NEOS selbstbewusst (das Wahlbündnis wird unter dem Dach NEOS antreten) als treibende und führende Kraft und nannte die gemeinsamen Werte und Ziele, das leichtere Überspringen der Vier-Prozent-Hürde und das do-ut-des von Bekanntheit des LIF einerseits und Neuigkeit und Dynamik der NEOS andererseits als Grund für das Zusammengehen. Ganz abgesehen davon, dass über dieses Bündnis auch die Medien nicht (mehr) hinweggehen konnten.

Ganz wichtig war es Frau Schwarz offenbar rüberzubringen, dass NEOS (teilweise auch zu programmatischen Inhalten) noch massiv "work in progress" ist und vom Engagement vieler Bürger mit unterschiedlichem (politischem) Background lebt. Nicht zuletzt auf eine Frage meinerseits, mich doch eher als Links zu erkennen gebend, brachte sie das Beispiel eines ÖBB-Pensionisten, der offenbar mit besonderem Elan für NEOS aktiv ist.

Um die Menschen zu erreichen, veranstalten NEOS auch (laut Eigendefinition) "politische Tupper-Parties". Darunter ist zu verstehen, dass Mitglieder der NEOS zu von Interessierten veranstalteten Treffen im privaten Rahmen kommen, um die Partei und ihr Programm vorzustellen.

Eine klare Abgrenzung erfolgte auch zum Team Stronach, das (neben zahlreichen anderen Unterschieden) noch nicht einmal einen wirklichen Ansatz eines Parteiprogramms vorlegen könne und dieses irgendwann aus Kanada geschickt bekomme.

Hier herrscht offenbar, besonders bei den JuLis-Vertretern, großes Unverständnis (ich bin fast verleitet, Entsetzen zu schreiben) darüber, wie man ob fehlender klarer Inhalte und wohl auch des Auftreten des großen Vorsitzenden (das ist jetzt nur meine Formulierung) diese Partei wählen könne.

In diesem Zusammenhang gab es auch eine kleine Medienschelte wegen des Herbeischreibens eines Milliardär-Duells (Stichwort Haselsteiner). Die NEOS-Vertreter legten großen Wert darauf, dass es keine Spende von bzw. Zusammenarbeit mit Haselsteiner gebe, man würde natürlich eine Spende von jemandem wie Haselsteiner nicht ablehnen, diese würde aber im Sinne der gelebten Transparenz nach den gleichen Regeln auf der Homepage veröffentlicht wie alle anderen.

Was die Finanzen betrifft, so wurde ein Betrag von € 200.000,-- genannt, was die Gesamtsumme der bisherigen Einnahmen angeht. Diese sind, wie jede einzelne Ausgabe auch, unter http://neos.eu/transparenz öffentlich abrufbar. Auf die diesbezügliche Vorreiterrolle in Österreich sind die NEOS offenbar - und meiner Meinung nach zu Recht - besonders stolz. Meinem Wissens nach sind auch die Piraten im Begriff, etwa Ähnliches aufzubauen, von den derzeit im Parlament vertretenen Parteien ist mir nichts in dieser feinen Granularität bekannt.

Auch die Piraten wurden als Mitbewerber nach entsprechenden Fragen aus dem Publikum angesprochen. Ich habe die diesbezügliche Position so verstanden, als dass das Engagement und der frische Wind, den die Piraten auf die politische Bühne gebracht haben, anerkannt werden, jedoch massive Zweifel ob der Nachhaltigkeit dieser Bewegung und auch ihres Fortbestehens vorhanden sind.

Die Publikumsdiskussion an den mit NEOS-Programmen, Foldern und Badges ausgestatteten Kaffeehaustischen drehte sich schwerpunktmäßig mit großem Respektabstand auf andere Themen um den Bereich Bildung.

Frau Schwarz untermauerte die Forderung der NEOS nach einer allgemeinen mittleren Reife mit dem Beispiel der hohen (40%, wenn ich mich richtig erinnere) Rate an sekundärem Analphabetismus bei den Absolventen des Polytechnischen Lehrgangs. Das brachte ihr prompt den Vorwurf des Lehrer-Bashings seitens des anwesenden Lehrers ein, der aber nach meinem Eindruck in weiterer Folge ausgeräumt werden konnte.

Als Eckpunkt des Bildungsprogramms sei auch eine weitgehende Schulautonomie zu sehen, die einerseits innerhalb gewisser Rahmenbedingungen, eines Bildungskanons und eines zugewiesenen Budgets die volle Entscheidungsbefugnis eines Schuldirektors bis hin zu Personalagenden vorsehe. Die Frage, was das für Themen wie Zentralmatura oder Vergleichbarkeit der Abschlüsse bedeute, konnte aber nicht detailliert beantwortet werden bzw. ging unter.

Diese Diskussion leitete auch zum Thema Verwaltungsreform über. Hier ist die Position einfach mit: Entweder volle Budgetautonomie und -verantwortung für die Länder oder deren Abschaffung (jetzt im politischen/verwaltungsmäßigen Sinne gemeint) zusammen zu fassen.

Hier und in anderen Punkten (darunter die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in den Kammern) kommt die Ablehnung der Bevormundung von Bürgern und die Betonung der Eigenverantwortung als Position der NEOS auch expressis verbis zum Ausdruck: Weder sollen Bürger als Bittsteller gegenüber Behörden auftreten (Stichwort Bürgergeld, dazu unten mehr), noch zum Beispiel Gemeinden gegenüber dem Land oder das Land gegenüber dem Bund.

Diskutanten wiesen zu Recht darauf hin, dass Änderungen hier fast ausschließlich nur mit Zwei-Drittel-Mehrheiten geändert werden könnten und zweifelten an der Durchsetzbarkeit solcher Forderungen. Hier wurde von Frau Schwarz die Notwendigkeit von Kompromissen am Beispiel der Koalition zwischen SPÖ und Grünen in Wien herangezogen, aber auch eingestanden, dass hier natürlich keine sofortige Realisierung zu erwarten ist.

Zum Thema Realisierung streben NEOS nicht nur den Einzug in das Parlament, sondern auch eine Regierungsbeteiligung an.

Großes Einsparungspotenzial sehen die NEOS auch im Bereich der Parteienförderung: Österreich habe im Vergleich zu Deutschland pro Bürger die zehnfache Parteienförderung und "keiner wird behaupten, dass unsere Politiker zehnmal besser sind."

Ich würde die Ideen und Forderung nach einer 70%igen (bitte mich hier nicht auf die konkrete Zahl festzunageln) Kürzung der Parteienförderung als Umstieg von Objektförderung (Parteien) auf die Subjektförderung (einzelner Mandatar/einzelne Mandatarin in Form von Infrastruktur usw.) unter Aufwertung des Parlamentarismus bezeichnen.

Aus diesem Grund lehnen NEOS auch den Klubzwang ab, jede(r) NEOS-Mandatar(in) wäre in seinem Stimmverhalten vollkommen frei und nur den Wählern verpflichtet.

Hier sind NEOS bemerkenswert konsequent: Jede(r), egal ob Parteimitglied oder nicht, kann sich in auf der Homepage zur Wahl stellen (das Verfahren läuft über Präsentationen auf der Homepage sowie Hearings und Vorwahlrunden) - auf dem Weg zum Nationalratsmandat muss also keine jahr(zehnt)elange Ochsentour durch Sektionen oder Gremien gemacht werden, was natürlich auch das Risiko birgt, mit zu illusorischen Vorstellungen vom Beruf des Politikers ein solcher zu werden, ohne dieses Handwerk gelernt zu haben.

Fragen zum Thema Internet/Internetdemokratie konnten nicht umfassend beantwortet werden, hier gab es aus meiner Sicht wie auch zur einen oder anderen Frage die Van-der-Bellen-Strategie: Offen zugeben, dass es derzeit nicht beantwortet werden kann bzw. noch von einer entsprechenden Arbeitsgruppe ausgearbeitet wird.

Angerissen wurde auch das Thema Pensionen, weil hier die Formulierung von Positionen besonders heikel sei, um zu verhindern, dass in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung nur das Schlagwort "Pensionskürzung" übrig bliebe. NEOS treten hier für einen Abbau von Pensionsprivilegien sowie die Angleichung des realen ans gesetzliche Pensionsalter, ein.

Wie das im Detail aussehen soll, wurde nicht verbal erörtert; aus dem parallel überflogenen Programm entnehme ich Ideen eines Pensionskontos und einer weitestgehend freien Wahl des Pensionsantrittszeitpunkts unter Verrechnung entsprechender Ab- oder auch Zuschläge.

Zum Schluss wurden noch zwei Themenkomplexe angesprochen: Zur Frage, wie geforderte Steuersenkungen vor allem für den die Hauptsteuerlast tragenden Mittelstand, konkret finanziert werden sollen, wurde auf noch laufende Berechnungen verwiesen.

Das angedachte Bürgergeld (entsprechend einem Grundeinkommen) wird als jedem Bürger zustehende und alle anderen Sozialleistungen und Beihilfen ersetzende staatliche Leistung gesehen. Hier ist "alle" wirklich umfassend zu verstehen, beinhaltet also auch zum Beispiel Grundgebühren- und GIS-Befreiungen.

Hier wird wieder Wert auf die Selbstbestimmung gelegt: Der Bürger und die Bürgerin sollen selbst entscheiden, ob er oder sie das Geld für Telefon und Fernsehen oder andere Dinge ausgibt. Andererseits liege es auch in der Eigenverantwortung, wenn das ganze Geld am Zweiten des Monats bereits verbraucht sei. Neben der Förderung der Selbstbestimmung sollen mit diesem Bürgergeld auch die notwendige Bürokratie sowie das geschickte Akkumulieren verschiedenster Leistungen eingedämmt werden.

Die Höhe des Bürgergelds wurde nicht konkretisiert, es wurde jedoch klar ausgedrückt, dass die Höhe so sein müsse, dass ein Arbeitsanreiz (sei es teilbeschäftigt oder Vollzeit, je nach Entscheidung des Einzelnen) bleibt.

Bleibt noch, ein persönliches Stimmungsbild zu zeichnen:

Die Diskussion war jedenfalls offen, freundlich und, wie schon einmal beschrieben, keinesfalls missionarisch. Von elitärem Gehabe oder auch Anspruch konnte ich bei Weitem nichts bemerken. Die Programmatik kann keinesfalls als linkslinks bezeichnet werden, andererseits hat der Politologe Hubert Sickinger in diversen Tweets durchaus Attraktivität des Programms auch für Teile der SPÖ-Wählerschaft vermutet.

Ich glaube, dass NEOS sehr gute Chancen haben, die Vier-Prozent-Hürde bei der nächsten Nationalratswahl zu überspringen, und zwar durch das Reanimieren von derzeitigen Nicht-Wählern, dem Bereich der leistungsorientierten selbstbestimmten und als Einzel- oder Kleinunternehmer tätigen ÖVP-Wähler, dem Abspenstig machen von Realos bei den Grünen, die mit den "Fundis" nicht mehr können und von SPÖ-Wählern (Anhängern von Gusenbauers "leistungsorientierter Solidargemeinschaft") die angesichts von Faymann, Cap, Rudas und Co. das Heimatgefühl in ihrer Partei, nicht aber das soziale Gewissen,  verloren gegangen ist.

Ob es (Snapshot auf Grund dieser einen Veranstaltung) den NEOS gelingt, auch die Sprache von Lehrlingen, Arbeitern usw. zu sprechen - daran habe ich ein wenig Zweifel.

Die Gefahr, ins Elitäre abzugleiten, ist bei einer Partei, die von einer (ohne das jetzt nachgerechnet zu haben) verhältnismäßig hohen Akademikerquote getragen wird, immer gegeben, andererseits scheint es genug Leute im Team zu geben (wenn man die Vorstellungen auf der Homepage betrachtet), die dem entgegen treten könnten.

Auch ist der Name NEOS meiner Meinung nach sehr mit der Assoziation neoliberal belegt, was der Ad-Hoc-Aufmerksamkeit potenzieller Zielgruppen auch nicht besonders zuträglich ist.

Das, was eine Gruppe engagierter Bürger in den letzten Monaten aus dem Boden gestampft hat, verdient auf alle Fälle Respekt. Gewisse Lücken im Programm oder auch (noch) fehlende durchgerechnete Modelle sehe ich nicht als großes Manko, schließlich steht hier kein Apparat aus parlamentarischen Mitarbeitern und  Spezialisten in den Kammern und Ministerien zur Verfügung, der auf Abruf zur Verfügung steht.

Jedenfalls ist NEOS das seit Langem interessanteste in Österreich entwickelte politische Projekt (die Idee der Piraten wurde ja in Schweden geboren).













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